Intuition und Emotion sind im Spiel, wenn sich die Malerin Sabine Endres ans Werk macht. Spontaneität bestimmt ihre Vorgehensweise; erst nach und nach gewinnen die malerischen Äußerungen an Gestalt und verdichten sich zu einem stimmigen Ganzen.
Schicht um Schicht trägt Sabine Endres die Farbe auf die Leinwand auf und bedient sich dabei zumeist unkonventioneller Mittel: Lappen und Schwämme kommen vorrangig zum Einsatz, nur gelegentlich greift sie noch zum Pinsel. Ähnlich unbekümmert verfährt die Künstlerin bei der Wahl der Malmittel. Mit Öl- und Acrylfarbe, Kreide und Kohle, Gewebe und Strukturpaste entsteht in intensiven Arbeitsphasen eine informelle Malerei von hohem ästhetischen und haptischen Reiz.
Im Wechselspiel von Hinzufügen und Abtragen formt sich allmählich eine sinnlich-lebendige, vielgestaltige Oberfläche, in der helle, lichte Töne und kräftige Farben gleichermaßen auftreten. Vieles ergibt sich spontan während der Arbeit am Bild, die Entscheidung für die Farbe trifft Sabine Endres oft aus der jeweiligen Stimmung heraus. Wer sich in das lebhafte Bildgeschehen vertieft, das die leidenschaftliche Malerin auf der Leinwand inszeniert, kann stetig neue Entdeckungen machen. An abblätternde Hauswände erinnern manche Gemälde; wie sich überhaupt immer wieder der Gedanke an Spuren gelebten Lebens aufdrängt, wenn man diese durchfurchten, schrundigen, oft verletzlich erscheinenden Oberflächen zu ergründen versucht. Sabine Endres ist einen langen Weg gegangen, bis sie hier angekommen ist.
Von Anfang an hat sie eine individuelle Form- und Farbsprache entwickelt, die lange zwischen figürlicher und abstrakter Malerei changierte. Auf der Leinwand entstanden tanzende Fantasiewesen und Luftgeister, die aus floralen Formen herauswuchsen und zart und flüchtig den Bildgrund bevölkerten. Diese wurden allmählich von deutlich strengeren, grafischen Formen abgelöst. Der künstlerische Reifungsprozess hat nun einen vorläufigen Höhepunkt gefunden in den luftigen Abstraktionen, die der vorliegende Katalog zeigt. Ein befreites Spiel der Hand auf dem Malgrund und die Abkehr von gegenständlichen Tendenzen haben sie unaufhaltsam zu den derzeitigen informellen Arbeiten geführt. Das schließt indes nicht aus, dass sie im Erlebnis des spontanen Malprozesses unwillkürlich Eindrücke und Empfindungen, Erfahrungen und Erwartungen, Erinnerungen und Visionen formuliert.
“Im Bild kann nur das passieren, was in mir ist“, sagt die Künstlerin. Bewusst verzichtet sie auf Titel, doch schon beim flüchtigen Blick auf die Leinwände eröffnet sich eine Fülle von Assoziationen. Geheimnisvolle Grundrisse mag manch einer da entdecken, hervorgerufen durch die Kohle- oder Bleistiftstriche, mit denen Sabine Endres oft ein zartes Gitterwerk über die Malerei legt oder aus den Malschichten aufschimmern lässt. Beabsichtigt sind diese gegenständlichen Anmutungen nicht, fast erstaunt nimmt die Malerin selbst sie erst nach Beendigung eines Bildes zur Kenntnis.

Hanna Styrie M.A., im Mai 2009