Losgelöst – die abstrakte Malerei von Sabine Endres

Licht und großzügig wirken die abstrakten Malereien von Sabine Endres. Bewegte Flächen verdichten sich auf der Leinwand zu vereinzelten Gruppen, bündeln sich virtuos zu einem Farbenrausch und werden zuweilen durch zarte Linien miteinander verbunden. In ganz unterschiedlicher Weise erinnern diese verschiedenartigen Kompositionen an vegetabile Strukturen, Landschaften oder Unterwasserwelten. Sie bleiben aber immer so weit unbestimmbar und bar jeder Interpretation, dass der Betrachter Raum für eigene Assoziationen und Vorstellungen behält. Sie sind Momentaufnahmen künstlerischen Schaffens und sind gänzlich aus dem Wesen der reinen Malerei entstanden.

Wenngleich ihre Bilder oftmals in Werkgruppen entstehen und über die Zeit hinweg deutliche Entwicklungen und Schwerpunkte aufzeigen, arbeitet Sabine Endres mit einem hohem Maß an Spontanität und Zufall. Insofern könnte man von intuitiv-spontaner Malerei sprechen, die eine von jeglicher Intention und Festlegung befreiten Kunst sucht. Ähnlich dem französischen Tachismus, der ab den 1940er Jahren in Paris der informellen Malerei in Deutschland vorausging, finden sich auch in ihren Bildern vielfach Farbflecke bzw. sogenannten taches (la tache franz. für (Farb)fleck). Diese Farbflecken variieren in Form und Größe, in Dichte und Abstraktionsgrad und sind Ergebnis eines völlig freien, intuitiven Malvorgangs. Dieser von jeglichem Darstellungswillen losgelöste Malgestus ist zugleich von einem gewissen Kalkül begleitet, um die Möglichkeiten der abstrakten Malerei mit unterschiedlichsten Techniken und Materialien immer wieder aufs Neue auszuloten. Sabine Endres gelingt es, eine Balance zwischen dem Bewussten und Unbewussten zu halten.

Collagierte Papierstücke, Zeichnungen, mit dem Pinsel oder Schwamm aufgetragene Farben, die fest oder stark verflüssigt ihre freien Formen bilden, werden Schicht auf Schicht über viele Arbeitsschritte verdichtet, übermalt, nachgezeichnet oder verändert. Auf diese Weise entwickeln sich über längere Zeiträume nicht vorhersehbare und doch wohlkontrollierte Bildwerke, die eine große Energie und Lebendigkeit entfalten und zugleich harmonische Ruhe ausstrahlen. Dynamische Spuren bilden sich durch herunterlaufende Farben, während sich dicke Farbaufträge durch pastos aufgetragene Flächen verdichten. Lasierende Übermalungen und feine Linien fügen diese amorphen und gegenstandslosen Motive zu Gesamtbildern, die zuweilen an impressionistische oder japanische Naturlandschaften erinnern: Seerosen, Blüten und Äste, schäumende Wogen oder schneebedeckte Berggipfel scheinen sich schemenhaft aus dem abstrakten Bildgrund zu bilden, ohne wirkliche Gestalt anzunehmen. Überhaupt vermittelt die Malerei von Sabine Endres trotz aller Abstraktion asiatische Einflüsse, ohne diese konkret anzudeuten oder bewusst benennen zu wollen. Vielmehr ist es die bewegte und zugleich meditative Anmutung, die für ihre Werke charakteristisch ist, die sowohl durch eine kraftvolle als auch sanfte Farbgebung leuchtend und in jeder Hinsicht anregend wirken.

Alexandra Wendorf

Kunsthistorikerin und Chefredakteurin barton